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Buchkritik: Die Krimireihe Metro

Über Afrika lacht man nicht

12. Juli 2007 | Mittlerweile werden sie fast überall geschrieben, wo Metropolen entstehen: spannende Unterhaltungsromane, die auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse blicken. Viele davon – besonders die aus der Dritten Welt – publiziert der Unionsverlag.


Titelblatt «Shanghai Dinner»Da hat sich Feng-Shui-Meister Wong aber schwer in die Nesseln gesetzt. Tagelang fieberte er dem grossen Mahl in einem Schanghaier Restaurant entgegen: Er war als Gestalter der Inneneinrichtung eingeladen worden, durfte Speisen vorschlagen, doch mitten im grossen Happening – die Köche filetieren gerade lebende Fische, dampfen Krebse zu Tode, bringen Babytintenfische mit Chilisauce zum Zappeln und schnetzeln eine im Käfig hereingeschobene Zibetkatze in die Suppe – taucht plötzlich ein Terrorkommando auf, um den Gourmets den Garaus zu machen. Wong gelingt mithilfe seiner ihn ständig nervenden Assistentin knapp die Flucht.

Was folgt, ist die vielleicht absurdeste, sicherlich aber witzigste Verfolgungsjagd in der jüngeren Geschichte der Krimiliteratur, bei der finstere TerroristInnen, ein etwas überforderter Topleibwächter des US-Präsidenten und eine coole chinesische Polizistin einem weissen Elefanten hinterherhetzen. Die Jagd führt mitten durch die Goldgräberstadt des kapitalistischen Chinas und den politischen Alltagswahnsinn in Ost und West. Am Ende lässt Nury Vittachi in seinem Roman «Shanghai Dinner» Meister Wong mal wieder die Welt retten.

Inspektor Ghote und Modesty Blaise

Der indische Inspektor Ghote geht da schon gemächlicher vor. Der Bombayer Polizist nimmt lieber den Zug als das Flugzeug, um einen Antiquitätenfälscher in Kalkutta abzuholen. Doch seine Fahrt durch Indien wird längst nicht so erfreulich, wie er sich das vorgestellt hat. Denn es steigt ein Fahrgast zu, der sich höchst merkwürdig verhält. Könnte er am Ende sogar der besagte Schwindler sein? Und so beginnt zwischen den beiden – dem etwas steifen, an sich selbst zweifelnden Polizisten und seinem frech auftretenden Begleiter – ein stiller Kampf, bei dem zwei westliche Hippies, ein Guru und ein indischer Bahnbeamter für erhebliche Verwirrung sorgen. Wie H. R. F. Keating in seinem Buch «Inspector Ghote fährt 1. Klasse» mit jedem Kilometer die Spannung wachsen lässt, das ist schon grosse Klasse – auch für jene, die noch nie in einem indischen Zug sassen.

Weitaus lebhafter als Inspektor Ghote nimmt Modesty Blaise Probleme in Angriff. Die Gentleman-Agentin fürchtet keine Schwierigkeiten, wenn es darum geht, FreundInnen herauszuhauen; sie ist attraktiver, verletzlicher und kühner als James Bond, kommt ohne Hightechwaffen aus und agiert wie eine Märchenfigur. Das war Modesty Blaise auch gewesen, bevor Peter O'Donnell sie in den sechziger Jahren einem Comicstrip entspringen liess. Noch heute haben O'Donnells Bücher jenen atemberaubend schnellen, gleichwohl augenzwinkernden Drive, der Bond im Kino seit langem abgeht. Dass «Ein Hauch von Tod» vor fast drei Jahrzehnten geschrieben wurde, merkt man eigentlich nur daran, dass keine der handelnden Figuren zum Handy greift.

Weiter zurück reicht die Geschichte des jungen Architekten Silvio Balestri, der 1914 mit allerlei Flausen im Kopf nach New York reist, um dort das allerhöchste Hochhaus zu bauen. Der Argentinier Pablo de Santis hat in seinem Roman «Die sechste Laterne» die kafkaesken Zustände in den monumentalen Achitekturbüros, die erbitterte Konkurrenz der Macher und Fantasten und die Besessenheit der Moderne so packend und mit so viel Sachkenntnis und stiller Ironie beschrieben, dass der Krimiteil in seiner Schilderung fast beiläufig daherkommt: Balestris Frau verschwindet, während er einem Geheimbund auf der Spur ist.

Titelblatt «Tod im April»Vergleichsweise klassisch agiert hingegen der eher erfolglose Privatdetektiv Ricardo Blanco auf Gran Canaria. Als zwei Männer erwürgt aufgefunden werden – der eine mit Spitzendessous in der Badewanne, der andere in Frauenkleider gepackt –, ermittelt er auf leichte, manchmal elegante, oft auch konfuse Weise und stöbert sich durch eine Gesellschaft, in der alte Franquisten, brutale Bullen, Machismo und Rache eine Rolle spielen. José Luis Correa entwirft in seinem neuen Krimi «Tod im April» ein Las Palmas, das die TouristInnen so nicht kennen.

All diesen Büchern ist mehrerlei gemein: Sie fallen aus dem Rahmen der heutigen Kriminalliteratur, sind mit Esprit geschrieben, zeichnen meist ein realistisches Bild der Gesellschaft, in der die Handlung spielt, schildern komplexe Figuren und Verhältnisse – und sie sind alle 2007 in der Metro-Reihe des Unionsverlags erschienen.

Die weissen Flecken

Konzipiert und herausgegeben hat diese Reihe mit inzwischen 150 Titeln von über fünfzig AutorInnen und einem multinationalen Anspruch der Literatur- und Musikkritiker und Essayist Thomas Wörtche. Er brachte in den letzten sieben Jahren eine Vielzahl von neuen AutorInnen auf den deutschsprachigen Markt - den Kubaner Leonardo Padura zum Beispiel, dessen Teniente Mario Conde auf so unvergleichliche Weise in Havanna ermittelt, den in Thailand lebenden Christopher Moore, die Japanerin Massako Togawa, den Algerier Yasmina Khadra, den US-amerikanischen Jazzmusiker Bill Moody, den Australier Garry Disher, den Kolumbianer Jorge Franco oder den Mexikaner Guillermo Arriaga. Von Alaska (Stan Jones) bis Manila (William Marshall), von Norwegen (Jon Ewo) bis Brasilien (Rubem Fonseca) reicht Wörtches Spektrum.

Dennoch: Eine weltumspannende Vollständigkeit sei nie sein Ziel gewesen, sagt Wörtche, dazu wisse er über manche Regionen (wie etwa Osteuropa) zu wenig, um die Fakten jener Texte überprüfen zu können, die einen realistischen Anspruch haben. Und dann gebe es auch Gesellschaften, in denen das Genre völlig unbekannt sei. In Albanien gibt es für Krimis nicht einmal ein Wort, auch in Indonesien und Malaysia sind sie unbekannt, im arabischen Raum habe er nur in Algerien und Marokko Ansätze zu dieser Gattung erkennen können, in China seien weit und breit noch keine AutorInnen zu finden (Nury Vittachi, der «Shanghai Dinner» geschrieben hat, stammt aus Sri Lanka). Und dann gebe es Erzählformen, «die in Europa niemand erträgt», sagt Wörtche – die indischen Krimis à la Bollywood zum Beispiel oder die «Blut- und Gedärme-Schocker aus Südkorea».

Verdichtete Räume

Der Hauptgrund für die weissen Flecken auf der Krimiweltkarte ist soziologisch erklärbar: «Gute Spannungsliteratur entsteht vor allem in verdichteten urbanen Metropolen», in Gesellschaften mit Untergrund also, die in Bewegung sind, Geheimnisse bergen, die ab und zu nach oben schwappen und Umsteigemöglichkeiten bieten (daher auch der Titel der Reihe Metro). In der ländlichen Türkei zum Beispiel waren Morde über Jahrhunderte hinweg meist Ehrensache gewesen, zu denen die Täter auch standen. Erst durch die Amerikanisierung der türkischen Gesellschaft – wie es Metro-Autor Celil Oker formuliert – und das schnelle Wachstum der Metropole Istanbul hat sich dort der Charakter der Verbrechen entscheidend verändert. Es ist, so Wörtche, also nur eine Frage der Zeit, bis in Kairo, Peking oder Bombay Manuskripte auftauchen, die ins Metro-Programm passen.

Nicht alles aber ist so einfach zu deuten. «Ich weiss bis heute nicht, warum aus Bolivien keine guten Kriminalromane kommen.» Dort habe er «unter jedem Busch nachgesehen». Im Nachbarland Chile hingegen gibt es immerhin eine lange Tradition, ebenso in Kolumbien und Argentinien. «Woher kommt das? Warum werden in Algerien spannende Bücher geschrieben, in Tunesien aber nicht? Kann mir das mal der Auslandsredaktor erklären?» (Der kann es nicht.) Weitgehend unerklärlich ist auch das Verschwinden der Autorinnen. In den achtziger Jahren noch waren Frauen in Lateinamerika in der Spannungsliteratur stets präsent. Aber mittlerweile kommt dort von weiblicher Seite nichts mehr – zumindest nichts, das Wörtches Ansprüchen genügen würde. Und diese sind ziemlich hoch.

Titelblatt «Jaime Bunda, Geheimagent»«Krimis sind eine andere Art, die Gesellschaft zu analysieren», sagte einmal Pepetela, ein weiterer Krimiautor: Der angolanische Soziologieprofessor Artur Carlos Maurício Pestana dos Santos war 1962 aus politischen Gründen ins algerische Exil gegangen, kehrte 1969 nach Angola zurück, schloss sich der Guerilla gegen die portugiesische Kolonialmacht an, legte sich den Nom de Guerre Pepetela zu, war nach der Befreiung sechs Jahre lang stellvertretender Bildungsminister und wurde später zum vielleicht bekanntesten Schriftsteller des Landes. «Wenn es darum geht, die Macht lächerlich zu machen, bietet sich natürlich ein Krimi an», sagt er.

Aberwitz und Ironie

Eine ähnlich wechselreiche Biografie hatte der mittlerweile verstorbene kamerunische Schriftsteller Mongo Beti. Auch er schloss sich einer Unabhängigkeitsbewegung an, ging 1951 nach Frankreich, publizierte in der Folgezeit Bücher, die sowohl in Kamerun wie in Frankreich verboten wurden, machte nach seiner Rückkehr (1994) in Kamerun eine Buchhandlung auf, die schnell zum Zentrum der intellektuellen Opposition wurde, und begann wieder zu schreiben.

In seinem Roman «Sonne Liebe Tod» entwirft er mit so viel Aberwitz und Leidenschaft das präzise Bild einer immer noch von Frankreich dominierten Bananenrepublik, dass man zwischen dem Lachen auch heulen könnte: Im Hause eines oft betrunkenen oppositionellen Journalisten, der seine Bébète liebt und schlägt, taucht plötzlich eine Leiche auf, und dann sind sie alle da - ein dubioser Anwalt, natürlich die «Freunde von Zubrot» von der Polizei, ein merkwürdiger Franzose und die chaotischen Verhältnisse.

Ähnlich hintergründig und ironisch geht es in Pepetelas Krimi «Jaime Bunda, Geheimagent» zu: Nach dem Mord an einem Mädchen erhält ein fetter Geheimdienstpraktikant mit dem Namen Bunda («dicker Hintern») den Auftrag, die Täter zu ermitteln. Er tut das mit so viel Ahnungslosigkeit, aber auch Hartnäckigkeit, dass bald die gesamte Elite von Luanda in helle Aufregung gerät.

Beide Romane spielen in Schwarzafrika, beide sind mit einer grossen Portion Humor geschrieben - und beide waren ein Flop. Denn sie bieten eine für jeden Verlag offenbar tödliche Kombination: Afrika geht nicht. Und afrikanische Komik geht schon gar nicht.

Das hat Wörtche auch bei Metro-Büchern aus anderen Regionen erfahren müssen. Im deutschsprachigen Raum, sagt er, passen Spannung und Komik, Verbrechen und lustigere, subtilere, komplizierte Darstellungsformen nicht zusammen. Vielleicht gilt ja hier die von Pierre Bourdieu formulierte These, wonach sich die bürgerlichen Vorstellungen von Moral und Ästhetik in einem Punkt treffen – in der Ablehnung des Vergnügens der Sinne und des Leichten. Derrick lässt grüssen. Pepetelas zweiten Bunda-Krimi kann Wörtche jedenfalls zu seinem eigenen Bedauern nicht mehr publizieren – dazu fehlt dem Unionsverlag schlicht die Kapitaldecke.

Sind die Metro-LeserInnen also ähnlich schlicht gestrickt wie das durchschnittliche Krimipublikum, das von einer sympathischen Ermittlungsfigur an die Hand genommen werden will, um eben mal einen Blick in Abgründe zu wagen und kurz zu erschauern? «Wir wissen nicht viel über sie», sagt Wörtche. «Aber es sind entweder Leute, die sonst keine Krimis lesen» (eher kritische, international interessierte LeserInnen) oder Leute, «die sehr kompetent Krimis lesen».

Die geistig-moralische Wende

Die Fans der gängigen Krimibestseller hingegen haben mit dem gesellschaftspolitischen Gehalt, den Brechungen, den leicht schrägen Romanen der Metro-Reihe eher Mühe. Dass Bücher von Autorinnen wie Donna Leon, Ingrid Noll oder Elizabeth George derzeit so eifrig konsumiert werden, ist – so Wörtche – freilich auch ein Resultat der geistig-moralischen Wende, die 1992 von der deutschen Regierung unter Helmut Kohl ausgerufen wurde: zurück zu alten Werten, simplen Zusammenhängen, bewährten Topfmustern. Die komplexere, mitunter auch aufklärerische Kriminalliteratur, die in den Jahrzehnten zuvor entstanden war, wurde dabei verdrängt. Das erklärt auch, weshalb etwa die hervorragenden, hochpolitischen, existenzialistisch geprägten und ganz und gar nicht bürgerlich-moralischen Manuskripte des Marseiller Autors Jean-Claude Izzo jahrelang auf den Tischen sämtlicher deutschsprachigen Verlage vor sich hin rotteten – bis Wörtche zufällig davon erfuhr und der Unionsverlag zugriff. Mittlerweile liegt die Gesamtauflage der Izzo-Romane im sechsstelligen Bereich.

Wörtches Gespür für gute Stoffe, sein weit verzweigtes Netz an Kontakten, seine harten literarischen Kriterien, die Pflege der durchwegs sehr guten ÜbersetzerInnen und die Kurztexte zu oder die Interviews mit den AutorInnen – all das hat Metro zu der bei weitem interessantesten Krimireihe auf dem deutschsprachigen Markt gemacht.

Am Konzept und an der Reihe will der Unionsverlag auch nach dem Ausscheiden Thomas Wörtches festhalten: Ende September gibt dieser seine Herausgeberschaft auf. Aber er hat vorgespurt. Ende August erscheint Bruno Morchios erster Roman über den Genueser Privatdetektiv Bacci Pagano, der kurz nach den Polizeiausschreitungen am G8-Gipfel in Genua und Berlusconis Wahl Millionengeschäften hinterherspürt und unversehens in eine heikle Politgeschichte hineingezogen wird. Weitere Bände mit von Wörtche entdeckten AutorInnen sollen folgen. (pw)